Tipps und Erfahrungen
Vor vier Jahren lernte ich Amie im Winter auf Island kennen. Die Gletscherlagune hatte es uns besonders angetan und wir träumten davon, eines Tages mit Kajaks durch Grönlands Eisschollen zu paddeln. Leider fanden wir keine passende Reise.
Im Februar 2024 schlug sie mir den ACT vor, der mir als Fatbike-Strecke im Winter bekannt war – und den ich als ‚zu langweilig‘ ad acta gelegt hatte. Doch zu Fuß ist er eine andere Nummer: Flussdurchquerungen, 15-20kg Gepäck 9-12 Tage lang tragen, kein Empfang, Nachttemperaturen um den Gefrierpunkt, Trekkingfutter aus der Tüte, duschen und baden in Seen und Flüssen, usw. Mein Abenteuerherz hüpfte vor Vorfreude und die Liaison A+A wurde beschlossen.
Vorbereitung: Planung und Ausrüstung
Man findet ausreichend Informationen zu Anspruch, Vorerfahrung, Ausrüstung etc. auf der Homepage des Trails (klick hier, um die Seite für später zu öffnen), die regelmäßig aktualisiert wird. Auch die Facebookgruppe, die von derselben Autorin betrieben wird, ist sehr informativ.
Basierend auf den genannten zwei Quellen hatte ich den Eindruck gewonnen, dass der ACT kein Spaziergang sei und aufgrund seiner Exponiertheit ein ernst zu nehmendes Unterfangen. Also bereitete ich mich entsprechend vor, sechs Monate lang. Zu meinen Vorbereitungstouren gehörte die Umrundung von Menorca, zu Fuß. Ich knallte meinen 17 Jahre alten Backpack mit bis zu 20kg voll, biwakierte an Stränden und im Wald, lief an die 30km 7 Tagen in Folge. Check ✔️ im Mai war mein Körper auf ACT-Niveau.
Kurz vor Reisebeginn quartierte ich mich auf der Gjaid-Alm im Dachstein ein. Dort darf man zelten und zum Glück regnete es an meinem Ankunftstag stark, sodass ich den Zeltaufbau unter ACT-Bedingungen testen konnte. Check ✔️ Nachttemperaturen mit bis zu 5°C waren ideal für einen letzten Ausrüstungscheck von Matratze, Schlafsack, Kocher, Kalorienzufuhr ✔️.
Noch ein paar Tagestouren mit vollem Gepäck (16kg) und viiiielen Höhenmetern für die Schnellkraft rundeten das Vorbereitungsprogramm ab. ✔️
Thema Navigation. Die ACT-Homepage betont, dass man mit Kompass und Karte navigieren können muss. Bei einem Maßstab von 1:100.000 dienen Kompass und Karte lediglich für eine grobe Navigation. Gerade in Sumpfgebieten verloren wir den Trail und mussten entscheiden, ob links- oder rechtsherum um Hügel. Da war GPS klar im Vorteil.
Meine Vorbereitung im Überblick
- Grundlagentraining Februar bis Mai
- Mentaltraining Februar bis August
- Survival Training im Mai
- Test bestehender Ausrüstung Februar bis Mai
- Krafttraining Mai bis August
- Temperaturtraining August
- Kurztrip mit ACT-nahen Anforderungen: 4 Tage lang, 2 Wochen vorher
- Kalorienreduktion auf die während der Trekkingreise verfügbare kcal-Menge ab 4 Wochen vor Reisebeginn
- Beschriftung der Nahrung, angepasst auf die Tagesetappen
Das Training ist so nah wie möglich an die Bedingungen am Zielort angelehnt. Dadurch habe ich genügend Luft nach oben, um ab der 1. Minute genießen zu können, Anderen zu helfen oder für evtl. Unvorhersehbarkeiten ausreichend Kapazität zu haben.
Der Arctic Circle Trail: Eine Streckenübersicht
Die Schutzhütten unterteilen den Trail auf 9x 20km. Für Flussdurchquerungen darf man unter Umständen sehr viel Zeit einrechnen. Amie und ich einigten uns auf ‚slow travelling‘, um Zeit für die Schönheit der Natur und Entdeckungen am Wegesrand zu haben.
Zur Schwierigkeit möchte ich keine Aussage tätigen, da diese sehr subjektiv ist.
Viele laufen von Kangerlussuaq (K) nach Sissimiut (S), um die Höhenmeter am Ende zu haben, wenn der Rucksack leichter ist. Ende August erlebten wir in den Bergen bereits Frost. Natürlich war unsere Ausrüstung winterfest, doch wer Schnee und Frost vermeiden will, sollte spätestens Anfang August starten oder von S nach K laufen. Zudem steigt die Chance immens, eines der Kanus ab dem Canoe Center zu ergattern. Des Weiteren hat man in K tagesfüllende Ausflugsmöglichkeiten zum Gletscher.
From ice to ocean – 10 Tage auf dem Arctic Circle Trail
Tag 1: Start in Kangerlussuaq – Das Abenteuer beginnt
Die ersten 15km verlaufen auf einer Gravel Road. Einige Trekker lassen sich direkt nach Kellyville shuttlen, um die Gravel Road zu überspringen. Als slow traveller laufen wir ab der Polar Lodge. Ich nutze die Zeit, um mich mit der Deklination bei der Kompassnavigation vertraut zu machen, immerhin -27° dieses Jahr. Ich teste salzhaltiges Trinkwasser und stelle fest: zum Kochen einwandfrei, ansonsten trinkbar, in Maßen.
Amie findet einen superschönen camp spot mit Blaubeeren en masse, direktem Wasseranschluss, Bademöglichkeit und Waschsalon.
Tag 2: Abwechslungsreiche Landschaften
Nachts wird es noch nicht wirklich dunkel. Wir versuchen unseren Rhythmus zu finden. Gleichzeitig lernen wir uns kennen, in dieser weiten, menschenleeren Gegend. Wie still es hier ist. Mein Auge ist hin- und hergerissen zwischen der unendlichen Weite und den schmackhaften Blaubeeren in Griffweite. Eins ist sicher: schauen und laufen ist Tabu. Ein Umknicken wäre ein fahrlässiger Fehler, den es hier im Niemandslands zu vermeiden gilt. Wir erfreuen uns an dem Auf und Ab, wir loben den Kompass, der unsere Intuition entmündigt, wir erleben unsere erste Flussdurchquerung, die tiefer als vermutet verläuft und soooooooooo kaaaaaaaaalllllttttttt ist. Das ist der ACT, wir sind mittendrin.
Vor lauter Staunen vergessen wir unsere slow travelling-Ambition und laufen an die 20km. Am Ende des Sees, den man per Kanu entlang paddeln kann, sofern verfügbar, schlagen wir bei Wind und Regen unsere Zelte auf. Ich pfeife mir 1000kcal in Form von Pasta Bolognese rein und feiere das Leben. Jede verschwindet in ihrem Zelt, um sich warm und wettergeschützt auszuruhen.
Tag 3: Erste Herausforderungen
Der Wellengang bringt mich auf eine Idee. Das Bücken mit vollem Rucksack gelingt mir zwar schon, doch bei dem Wellengang ist es schwer, die Wasserflasche trockenen Fußes vollständig zu füllen. Ich befestige einen Karabiner am Wanderstock, hänge meine Trinkflasche ein und voilà, fertig ist die Wasserangel, die fortan bei Wellengang und abschüssigem Ufer Verwendung findet.
Wind und Regen haben nicht nachgelassen. Kanu ist auch keins in Sicht. Bei dem Gegenwind wäre eine Fahrt auch nicht ohne, sind wir uns einig. Die heutige Etappe führt immer am Ufer entlang zur nächsten Hütte, dem sog. Canoe Center. Wir kraxeln und „springen“ über Felsen. Manchmal bleibe ich mit meinem Dicken stecken. Die Oberschenkel brennen. Ein Lachanfall jagt den nächsten! Was für ein Anblick!
Gegen Mittag Kräfteeinbruch bei Amie. Wind, Kälte, Regen, Sumpf und die Kraxelei haben Spuren hinterlassen. Sie will zur nächsten Hütte, doch der Weg ist noch seeeehr lang.
Allein mit Willenskraft schleppt sie sich zur Hütte und bekommt noch ein Bett. Die Hütte bietet 21 Schlafplätze. Entsprechend wuselig ist es. Ganz zu schweigen vom Odeur… Wir schließen Bekanntschaft mit vier Polen, zwei Sachsen, Grönländern mit neun Waisenkindern uvm. Eigentlich suche ich Menschenleere, doch in diesem Umfeld ist es hilfreicher sich zu öffnen und den Beweggründen Anderer zu lauschen.
Tag 4: Halbe Kraft voraus im menschenleeren Raum
Der Morgen ist ruhig, fast schon idyllisch. Wir entscheiden uns, kürzere Etappen zu laufen.
Unmittelbar nach unserem späten Start wird es sumpfig. Wir hüpfen von Grasbüschel zu Grasbüschel, gleichen unseren Kurs mit Kompass und Karte ab und können unseren Augen nicht glauben, als wir hier ankommen.
Spa Day! Wir laufen zum Ufer, schlagen unsere Zelte auf und gehen baden. Auf grönländisch heißt das, bis zu den Knien im Wasser stehen 😉 Fünf Minuten später regnet es und hört nicht mehr auf. Grönland eben 🥴
Tag 5: Einsamkeit und Natur pur
Ich vergesse die Tage. Uhr und Handy sind seit Beginn tief im Dicken 🎒 vergraben. Brauche ich hier nicht. Körper und Wetter geben den Rhythmus vor. Nur die Nummerierung meiner Mahlzeiten erinnert mich an die Endlichkeit dieses Abenteuers.
Amie und ich haben einen Rhythmus gefunden. Wir laufen zwar sehr unterschiedlich, doch Schlaf- und Wachrhythmus harmonieren und Pausen sind immer willkommen, zum Fotografieren, Beeren pflücken, Dehnübungen machen oder snacken, um das Gewicht zu reduzieren.
Tag 6: Der Tag der größten Flussdurchquerung
Zum Frühstück gibt’s eine ordentliche Anzahl an Höhenmetern. Es geht steil bergauf, ganz wie dahoam. Ich entdecke meinen Weihnachtssnack im Gepäck und entscheide, ihn nach der Flussdurchquerung feierlich zu kredenzen. Wir fragen entgegenkommende Trekker, wie tief der Fluss ist. Die Antworten variieren je nach Tag der Durchquerung von knie- bis hüfthoch.
Bis zur Brücke gibt’s boggy ground. Nun weiß ich, was das heißt. Mir war klar, dass dies nicht zu meinen Stärken gehört und so hülle ich mich in den boggy look, den ich mir im Vorfeld für solche Fälle überlegt hatte: Kajakschuhe mit vibram-Sohle, Gamaschen gegen die harten Sträucher und abgezippte Hose👍 Ich lieb’s und freue mich auf trockene Wanderschuhe und Hosenbeine danach.
An dem Fluss holt uns das sympathische belgische Pärchen ein. Gemeinsam suchen wir nach einer geeigneten Stelle. Der Fluss ist breit, tief, a****kalt und der Untergrund rutschig und felsig. Dann laufe ich los. Kurz vor der anderen Seite zeigt sich die Strömung von ihrer stärksten Seite. Ach hätte ich doch nur einen 20kg schweren Rucksack. Drüben angekommen freue ich mich extrem und tanze, dann läuft Amie los. Wir feuern sie an, schreien ihr ermutigende Worte zu und jubeln bei ihrem Landgang. Das Ganze wiederholt sich noch 2x. Dann gibt’s Weihnachtssnack und Nüsse. Was für ein Fest am Ende der Welt!
Die Landschaft danach lädt weder zum Verweilen noch zum Fotografieren ein. Es riecht seltsam, streng und nein, nicht nach Wanderern. Wir trauen uns gar nicht Wasser aufzufüllen und laufen langsam trocken. Erst an der nächsten Hütte bekommen wir einen Hinweis in einem Mix aus Lettisch und Englisch auf die nächste Trinkwasserstelle. Wir bleiben hier, während die Belgier ein windgeschützteres Fleckchen für ihr Sommerzelt suchen.
Wir befinden uns eindeutig im Jagdgebiet. Überall liegen Überreste in Form von Fell, Knochen, Schädel und natürlich Geweih. Zurzeit ist Jagdsaison, doch wir treffen keine Jäger.
Tag 7: Oben bleiben
Wir bleiben oben. Es ist windig und kalt, doch dank windabweisender äußerer Bekleidungsschicht merke ich nicht viel davon. Gegen Mittag geht es mächtig steil bergab. Die Landschaft öffnet sich. Atemberaubend! Wir staunen und fragen uns, wie man hier im Regen heil herunterkommt. Unten angekommen sind wir zwar windgeschützt, doch der Weg verliert sich in dem kniehohen Gestrüpp. Wir steigen, suchen, steigen, hüpfen über Bäche, steigen weiter… Es ist still. Keine Menschenseele in Sicht.
Gegen Ende der Etappe gibt es nochmal kilometerlang boggy ground. Ich freue mich und schlüpfe in das entsprechende Outfit. Schmatz schmatz – ich spüre kaltes Wasser zwischen den Zehen – und laufe schmatz schmatz einfach weiter 😊
Tag 8: Der Geruch von…
Wir treffen eine, die sich den Knöchel verstaucht hat und natürlich Vorrang in Schutzhütten hat. Ich frage sie: „Wie machst Du das?“, „Wenn ich den Fuß ganz fest im Wanderschuh schnüre, geht’s einigermaßen.“ Ich bin fassungslos und voller Ehrfurcht zugleich, wie sie sich Etappe für Etappe den unebenen Weg entlang hangelt. Respekt!
Eigentlich würde ich gern mal wieder ein Shirt waschen, doch es würde nicht trocknen. Also gilt es jeden Tag abzuwägen, welches am wenigstens mieft. Schon erstaunlich, wie viel Toleranz in uns steckt, wenn sich neue Bekanntschaften trotz Mief ergeben. Hier draußen gelten andere Gesetze.
Der ATC kreuzt hin und wieder Grönlands Highway, eine ATV-Strecke, zu deutsch: Quadstrecke. Die Jäger verwenden den Highway, um von Sisimiut ins Jagdgebiet zu kommen. Uns stört die Strecke nicht. Ich nutze seinen Verlauf gelegentlich zur Orientierung.
Am Ende finden wir ein nettes Plätzle in Wassernähe, wo ich mir eine ausgiebige Dusche gönne. Die Belgier sind wieder da und ich nutze den Nachmittag zum Netzwerken. Was sonst. Trotz Temperaturen um schätzungsweise 5°C schwirren sehr viele Moskitos um unsere Köpfe. Sie scheinen zu ahnen, dass dies ihre letzten Flugstunden sein werden. Im Winter sterben sie.
Tag 9: Je höher, desto kälter
Ich „verschlafe“, wenn es das überhaupt gerade gibt. Die Nacht draußen war eiskalt, doch die frische Luft, Zelt und Schlafsack und das angenehme Gespräch gestern scheinen mir gut getan zu haben. Jedenfalls sind alle weg, als ich aus den Federn krieche 😂. Total egal.
Wir frühstücken in aller Ruhe, packen zusammen und laufen los. Wir schlagen uns durch Grönlands Wald, wenn man das so nennen darf. Die nebelige Feuchte in der Luft verwandelt sich in Regen. Auch der Wind nimmt zu und dann wird es auch noch von unten nass, boggy ground. Der Moschusochse, den ich in der Ferne erblicke, rundet die Grönland-Experience ab. Das ist Grönland!
Ab und zu driften meine Gedanken ab zur letzten Etappe, die wir morgen anstreben. Wie haben wir uns verändert? Habe ich die Zeit bewusst genossen? Ja. Habe ich etwas vermisst? Nein. Habe ich mein Ziel erreicht? Ja, nämlich meine Urlaubsbekanntschaft Amie ausgebaut zu einer Kameradschaft. Wir haben uns kennengelernt, in diesen Umständen, in dieser fantastischen Gegend und jede hat die Erfahrung bekommen, die sie erwartet hatte.
Lange kann ich nicht in Gedanken schwelgen, denn das Wetter setzt uns zu und erschwert die Campsuche. Unten am Seeufer können wir nicht campen, kein Platz und zu feucht. Oben will ich nicht campen, zu stürmisch, eisig kalt und felsig. Eigentlich sollte hier oben eine Hütte sein, doch wir finden sie nicht. In der Ferne sehe ich zwei Hütten weiter unten und sprinte hin. Die erste ist verschlossen. Beim Öffnen der zweite Hütte vernehme ich eine vertraute Stimme: „Come in!“. Zehn Augen, die aus ihren wärmenden Schlafsäcken herausgucken, starren mich an. Polen und Australien! Was für ein Wiedersehen. Ich hole Amie, während Australien uns Wasser aufkocht für einen warmen Empfang.
Wir machen Inventur. Polen stellt fest: 1kg Nüsse und noch viel mehr im Gepäck!, auch Australien hat etwas über. Ich teile Rittersport-Schokolade und tea balls. Es geht zu wie auf einem Bazar, nur ohne Gegenleistung. Innerlich feiere ich das Leben, den Luxus hier sein zu dürfen, die Wegbegleiter und tatsächlich mich selbst. Ich bedanke mich bei mir für meine umfangreiche, akribische Vorbereitung, für die vielen Stunden der Planung, Recherche, Ausrüstungstests und Wanderungen. Es hat sich gelohnt!
Am Abend kommt tatsächlich noch die Sonne heraus und die Flut füllt den Fjörd sehr schnell mit Wasser. Wir erblicken viele Fischerboote und Fischerhütten. Ein Vorgeschmack auf die Zivilisation, die uns morgen erwartet.
Tag 10: Die letzten Kilometer – Heiterkeit und Freude
In der Nacht gab es Frost. Uns ist das Wasser eingefroren. Die Veranda der Schutzhütte ist spiegelglatt. Das haben wir alle gehört, als der Erste raus ging.
Trotz knackiger 20km mit drei beachtlichen Steigungen lassen wir es ruhig angehen. Warum auch nicht. Australien hat sich entschlossen, uns auf der letzten Etappe zu begleiten. Und so stapfen Australien, USA und Deutschland Schritt für Schritt mit „leichtem“ Gepäck und noch leichterem Gemüt die Berge hinauf. Bald entdecken wir die Hütte, direkt am Weg und oben. Ich kann es nicht glauben, dass wir sie gestern nicht sehen konnten. Und ja, die Belgier, mit denen wir eigentlich hier verabredet waren, haben eine Nachricht hinterlassen. Wie schön.
Dann kämpfen wir uns durch kniehohes Gestrüpp, hüpfen über Flüsse und stampfen Berge hinauf. Ich lasse meiner Vorfreude freien Lauf. Auch Australien ist fröhlich gestimmt und probiert allen Ernstes das kreative Gipfel-WC aus.
Die Etappe ist lang, doch zu dritt und mit der Vorfreude auf baldigen Empfang ganz leicht zu bewältigen. Der Jubel ist groß, als wir den Zielort Sisimiut in der Ferne erkennen. Ich schluchze.
Wir erreichen dog town, wo die Huskies der Locals wohnen und auf den Winter warten. Manche Hunde übersommern auf Inseln. Die Besitzer fahren in dem Fall gelegentlich raus, um sie zu füttern und nach dem Rechten zu schauen.
Routiniert checken wir in unser Hotel ein. Ich tippe schonmal den WLAN-Code ein. Dann nehmen wir uns erst einmal Zeit für eine Umarmung, ein Dankeschön an den team buddy und alle Anspannung darf nun abfallen. Es folgt ein Video Chat mit dem Liebsten daheim und eine kurze Statusmeldung in Wapp: ‚We made it!‘. Dann höre ich Amie unter der Dusche jodeln. Wenn Amerikaner jodeln können, dann so! ‚I will wash my hair twice‘, lässt sie kokett unter der Dusche verlauten. Wir freuen uns über das Erreichte und können unser Glück noch gar nicht in Worte fassen. Glücklich und zutiefst zufrieden fallen wir ins Hotelbett, spüren in unseren Körper hinein und lauschen unseren Gedanken.
Mentale Stärke: Herausforderungen und Durchhaltevermögen
Für mich persönlich war das Abenteuer keine Grenzerfahrung. Ich war immer in meiner Komfortzone, dank zuverlässigem Equipment und dank realitätsnaher Vorbereitung.
Dennoch bewertet die Mehrheit den Trek als außergewöhnlich anstrengend. Abgesehen von den Dingen, die man in der Hand hat, können Wetter und Wasserpegel die Sache innerhalb von Minuten in eine Tortur verwandeln.
Interessant war für mich die Beobachtung, dass ich untypisch wenig an andere Personen und Dinge dachte. Ich war sehr im Hier und Jetzt: sicher laufen und navigieren, Lauftempo abgleichen, Landschaft genießen, auf team mate achten usw. Es wurde nie fad, langweilig oder gar zäh. Auch bei widrigen Wetterbedingungen, die sicherlich nicht jedermann’s favourite sind, hat mir das Mantra: ‚Accept the wet‘ geholfen, das Nass anzunehmen, als Teil des Abenteuers.
Praktische Tipps für den Arctic Circle Trail
Beste Zeit zum Laufen
Um den Moskitos zu entgehen, entschieden wir uns für einen Start Mitte August. Um die Bergetappen mit leichtem Gepäck anzugehen, entschieden wir uns für die Richtung K nach S.
Aus heutiger Sicht würde ich das nächste Mal andersherum laufen, weil a) die Moskitos nicht so lästig sind, sobald man ein Moskitonetz aufhat und nur beim Duschen/Baden Kreativität abverlangen, b) es in den Bergen früher kalt wird, c) der riskante Abstieg dann ein Aufstieg wäre und d) bei entsprechender körperlicher Verfassung die Anstiege gut zu bewältigen sind, egal mit wie viel Gepäck, e) die Chance auf ein Kanu am Canoe Center steigen und f) man in K die verbleibende Zeit für Ausflüge nutze kann.
Wichtige Ausrüstungsgegenstände
- Regenrock! Der hat sich als Geheimwaffe entpuppt. Sei es als Wärmeschutz bei starkem Wind, als zusätzlichen Windblocker im Zelt, als isolierende Sitzunterlage oder simply als Regenschutz, den man sich während des Laufens an- und ablegen kann. In einer Regenpause einfach hochziehen und lüften, der nächste Schauer oder die nächste Flussdurchquerung kommt ganz gewiss früher als später.
- Selbstabdunkelnde Brille! Ich war mir nicht sicher, ob eine reguläre Sonnenbrille ausreicht oder eine Gletscherbrille (S4) besser wäre. Rückblickend war die selbsttönende Brille für mich die richtige Wahl, da ich sie auch bei starkem Wind und Regen trug, als Schutz für die Augen.
- Faltflaschen! Vielen Trekkern reicht eine 1l-Flasche. Wenn man im Camp kocht, braucht man meist 500ml Wasser, dann noch Frühstück am nächsten Morgen und bisschen Trinken. Ich hatte zwei Faltflaschen à 500ml dabei, die ich ausschließlich für wasserarme Strecken befüllte. Ansonsten reichte meine 750ml-Fahrradtrinkflasche mit Karabinerhalterung 😉 (für die Wasserangel)
- Wasserdichte Socken! Ein vieldiskutiertes Thema. Die meisten Wanderer bekommen in Sumpfgebieten nasse Wanderschuhe, weil sie so tief einsinken, dass das Wasser über den Stiefelhals in den Stiefel läuft. Ist der Schuh einmal nass, wird er nicht mehr trocken. Mit wasserdichten Socken hat man in den nassen Schuhen wenigstens trockene Füße, bis neues Wasser nachkommt. Ich bin ohne waSocken losgezogen, da ich meinen wet look hatte. Bei den Wassertemperaturen und v.a. den Distanzen, die ich im wet look zurückgelegt habe, wären waSocken evtl. bequemer gewesen. Kalt wurde mir nicht, solange ich in Bewegung blieb.
Verpflegungsstrategien
Es hat gut getan, Kalorien zu zählen und Sportriegel u. Ä. hinsichtlich ihrer Nährwerte zu beleuchten. Ich hatte mit 1.500kcal täglich gerechnet und habe weniger verbraucht. Allerdings habe ich mich vier Wochen vorher bereits auf das Level geschraubt, um den Körper daran zu gewöhnen.
Wie man sich auf extreme Bedingungen vorbereitet
‚Tue so als ob‘, die alte Mentaltrainingsweisheit. Bevor ich nach Grönland ging, hatte ich den ACT gedanklich 1.000mal absolviert, bin 1.000mal durch Flüsse gewatet, hab 1.000mal mein Zelt im Sturm errichtet, hab 1.000mal den Trail verloren usw usf. Natürlich konnte ich von ähnlichen Abenteuern profitieren, doch teilweise liegen diese Erfahrungen 10 Jahre zurück.
Trotz aller Zugänglichkeit ist der Trail selbst aktuell noch „ab vom Schuss“. Man sollte umfangreiche Erfahrungen mit mehrtägigen, ganztägigen Wandertouren mit Zeltübernachtungen haben. Man sollte sein Zelt in allen Wetterlagen pitchen können. Man sollte in allen Wetterlagen kochen können. Man sollte ein ausgeklügeltes System haben, wie man sich auf solchen Touren hygienisch versorgt. Die Fähigkeit, Wasser zu lesen, ist bei Flussdurchquerungen hilfreich.
Fazit: Aus Urlaubsbekanntschaft wird Freundin
Der Arctic Circle Trail ist kein Geheimtipp mehr. Schätzungsweise laufen ihn mehr als 1.000 Leute jährlich, derzeit noch hauptsächlich im August. Es gibt bereits geführte Touren im Sommer zu Fuß und im Winter mit Fatbike. Auch zu Wasser scheint der Grönlandtourismus zu boomen, wenn man sich die Angebote von Schiffstouren anschaut.
Das spricht sich auch bei den Eisbären um. Waren es in den letzten Jahren 0 Sichtungen, so wurde dieses Jahr bereits 2x Alarm gegeben, einmal sogar mit Evakuierung des Trails. Du bewegst Dich auf Eisbärengebiet. Es ist deren Lebensraum. Und eine Begegnung endet selten friedlich.
Mir hat der ACT sehr gefallen, weil die Landschaft abwechslungsreich ist. Abgesehen von den Hütten trifft man kaum Menschen, und wenn, dann sind es meist Gleichgesinnte. Das Wichtigste für mich war allerdings das Geschenk, zwei Wochen mit meiner Freundin aus Colorado verbringen zu können, auf einer Tour, die ich alleine nie in Erwägung gezogen hätte.